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Annie Bardon

> LIGHT FALL | Lichterketten an den Brücken

Als Flaneure oder Konsumenten erleben wir ständig, wie unsere Städte vom künstlichen Licht beherrscht sind:
Straßenlampen, Schaufenster, Neonreklamen usw. Und obwohl das Licht wie kaum ein anderes Element über die Atmosphäre eines Raumes – umsomehr eines öffentlichen – entscheidet, sind es in den seltensten Fällen Künstler, die es gestalten. Wenn sie es tun, dann oft nur für Ausstellungen im Rahmen von Kunstprojekten im öffentlichen Raum. Gunda Förster gehört zu diesen Künstlern, obwohl gerade Licht ein verbindendes Element und eine konstituierende Grundlage ihrer Arbeiten darstellt.
Während man Beleuchtung gerade in unserer westlichen Kultur mit viel technischem Aufwand erzeugt, verzichtet Gunda Förster darauf: mit geringen Mitteln, zum Beispiel einfachen Glühbirnen, gelingt es ihr, unerwartete Wirkungen zu erzielen.
Der Künstlerin ist bei ihrer Erkundung der Stadt Wismar nicht entgangen, dass die Frische Grube die Voraussetzung für ein Projekt mit künstlerischen, situationsbezogenen Eingriffen besitzt. Das Motiv einer Festbeleuchtung aufgreifend, hat sie die fünf Brücken zwischen Ziegenmarkt und Schabbelhaus mit Lichterketten nicht nur markiert, sondern auch wie eine waagerechte leuchtende Verbindungsleiter über den künstlichen Wasserlauf gezogen. In der Senkrechten hat sie außerdem jede dieser Brücken mit »Vorhängen« von kleinen Lichtern geschmückt, die herunterhängen, im Winde flattern und sich im dunklen Wasser widerspiegeln.
Mit dieser poetischen Installation stellt Gunda Förster Bezüge zur architektonischen und kommunikativen Situation der Stadt her; sie lenkt und kommentiert damit auch ihre Wahrnehmung. Das Licht ist das Arbeitsmittel, das Distanzen überwindet, Proportionen akzentuiert, Beziehungen schafft und Erlebnisräume formt. In dem Werk von Gunda Förster ist Licht nicht nur Medium und Material, sondern es ist zentraler Gegenstand ihrer Überlegungen. Auch in Wismar setzt sie es auf die Korrespondenz mit tektonischer und atmosphärischer Umgebung ein.
Die Sprache hat von der Semantik des Lichtes als fundamentale Naturgegebenheit zahlreiche Metaphern für Klarheit, Einsicht und Erkenntnis bezogen. In der Kunst wird das Licht zum Bedeutungsträger, zum idealen Stoff für die Projektion von Vorstellungen. Die Frage der Beleuchtung des Sujets im Dienste der Hervorhebung von Inhaltlichkeit spielt auch in der Installation von Gunda Förster eine Rolle. Die Frische Grube, die in früheren Jahren wesentlich zur Versorgung der Stadt beitrug, gewinnt stundenweise wieder an Bedeutung.
An ihrer »Festkleidung« kann sich aber der Betrachter erst bei einsetzender Dämmerung erfreuen. Bei völliger Dunkelheit entwickelt sich dann der Hell-Dunkel-Rhythmus zwischen den schwarzen Gewässern und den Licht-Vorhängen an den Brücken, und die kleinen Lichter heben sich wie glitzernde Perlenschnüre vom dunklen Hintergrund ab.
Das Aufzeigen von Strukturzusammenhängen findet in dieser Installation daher nicht nur auf einer abstrakten Ebene sondern in der Koppelung an unmittelbare sinnliche Erfahrungen statt. Gunda Förster hat mit ihrem Projekt eine geradezu zärtliche Aufmerksamkeit für die Stadt und ihrer »Grube« bewiesen, die für die Menschen zwar im Namen noch lebt, aber kaum noch in ihrem Bewusstsein steckt.

Katalogtext zum Projekt
Zum Wasser – ins Licht
Kunst im Stadtraum | Historische Altstadt Wismar, 2005
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