Unbenannte Seite

Gunda Förster

In der Wüste

Ich hatte Glück: Außer zwei Schnorchlern waren noch sechs Taucher auf dem Boot. Wir fuhren weiter auf das Meer zu einem Riff hinaus, das im knalltürkisen Meer kurz unter der Wasseroberfläche schimmerte. Sprung – Kopf unter Wasser – und wieder Kopf hoch. Ich hatte noch nie ein Riff im offenen Meer gesehen: farbige Korallen und bunte Fische, die um mich herumschwammen – als ob ich mich in einem Aquarium befände. Ich konnte es gar nicht fassen, dass das wirklich existiert – und ich jetzt mittendrin. Seither verstehe ich, dass man danach süchtig werden kann. Aber ich wollte nach Kairo.

Stundenlange Busfahrt durch flaches Land. Am Horizont eine Bergkette und dazwischen nur Sand, Sand, Sand. Städte, die nur aus Müllhalden zwischen verfallenen Häusern bestehen. Armut. Am Nil entlang, der einzigen Wasserader, die die Wüste durchzieht.
Stop in Luxor: Die Pharaonengräber. Auf einer Seite des Nils lebten die Menschen, auf der anderen Seite sind die Gräber. Durch den Glauben an die Wiedergeburt ist der Tod kein Abschluss, nur eine Station.
Kairo: Massenhaft Leute auf den Strassen, man sieht fast nur Männer, viel Militär und Polizei mit Maschinen-
gewehr im Anschlag, zusammenbrechende Häuser, Bauruinen, selbst da wohnen noch Leute, sogar auf dem Friedhof. Viele Männer haben einen verschorften Fleck auf der Stirn vom vielen Beten. Und am Stadrand, gleich hinter Müllbergen die Pyramiden. Die Steinblöcke sind ohne Mörtel aufeinandergeschichtet. Streicht man im Inneren mit der Hand über die Blöcke, spürt man kaum die Fugen.

Wüste: Man fährt und fährt und fährt. Und wenn man den Motor des Autos abstellt, ist da plötzlich nichts mehr. Der Blick verfängt sich in der Weite. Der Sand knirscht unter den Schritten. Die Sonne brennt. Der Mund wird trocken. Die Augen können das grelle, blendende Licht kaum ertragen. Ruhe, aber ohne Stillstand. Kein Geräusch. Man hört und spürt den Wind, der alles in langsamer Bewegung hält. Und obwohl da nichts ist außer Sand, spürt man die Zeit – oder vielleicht auch gerade deshalb. Die Stille ist erst sehr angenehm. Der Kopf wird frei, hört auf zu rattern. Die Gedanken beruhigen sich. Ich vergesse alles andere. Nichts mehr. Nur diese Endlosigkeit. Nur Sand und Himmel bis zum Horizont. Ich höre nichts mehr. Dann höre  ich meinen Herzschlag und wie das Blut durch die Adern strömt. Die Wüste nimmt mich gefangen.
Abends, wenn die Sonne untergeht, ist das Licht sehr sanft. Der Wind wird schwächer. Seit Urzeiten existiert die Wüste so, wie man sie jetzt sieht. Der Wind treibt seit eh und je den Sand hin und her. Karg. Lebensfeindlich. Abweisend und magisch anziehend zugleich.
Vielleicht bin ich so fasziniert von diesem Nichts, weil ich in Europa ständig zugedröhnt werde mit tausenden Reizen. In der Wüste ist es eine absolut konzentrierte Situation. Reduzierter geht es kaum noch. Ich bin auf mich selbst zurückgeworfen. Alles relativiert sich. Ständige, stetige Veränderung.

Katalogtext zur Ausstellung
orientale 1
ACC Galerie Weimar, 2001
INSIDE - OUT

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