Unbenannte Seite

Ulmann-Matthias Hakert

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Über Kopfhöhe sind rund am Gebäude acht Überwachungskameras angebracht, zwei an jeder Seite. Sie teilen die Umgebung des Museums in acht Blickfelder. Jede Bewegung wird registriert. Vor den Fassaden in Richtung Bahnhof und »Gauforum« sind je vier Paare von Scheinwerfern in den Boden eingelassen. Nach Einbruch der Dunkelheit zündet bei »Alarm«  in einem der Felder je ein Lampenpaar: ein grell weißer > BLITZ wird gegen die Fassade geschleudert. Umkreiste ein nächtlicher Passant das Gebäude, würde er eine ganze Reihe von Lichtexplosionen auslösen – ohne dies zu bemerken: nur für einen Bruchteil von Sekunden erhellt. Der achtäugige Argus, das Museum, nimmt seinen potentiellen Betrachter wahr. Dieser lauscht vielleicht dem Geräusch seiner Schritte, die sichtbare Wirkung seiner Bewegung bleibt ihm verborgen.
Die Romreisenden des 18. Jahrhunderts, unter ihnen auch die Protagonisten der Weimarer Klassik, bestaunten vergleichbare Effekte beweglichen Lichts. Zur nächtlichen Betrachtung von antiken Skulpturen wurden Wachsfackeln mitgetragen. Das Angeleuchtete – Skulptur oder Gebäude – wird aus der störenden Umgebung herausgelöst. Eventuelle Beschädigungen bleiben im Dunkeln. Das allzu Vollendete wird fragmentarisiert. Prägnant verteilte Massen von Licht und Schatten verdeutlichen Form und Zeichnung. Die galten der Klassik als absolute und verbindliche Norm. Mit dem unvermeidlichen Effekt gesteigerter Expressivität schlich sich aber unversehens die Idee ein, daß auch die »beleuchtenden« Betrachter Anteil an der Wirkung des Betrachteten haben.
In Gunda Försters Kunst-, Beobachtungs- und Beleuchtungssystem steht zwischen Ursache und Wirkung der Museumsbau Josef Ziteks: seit 1869 Großherzogliches Museum, als pädagogisches Instrument zur Bildung des Kunstsinns dem Klassizismus des Hausgottes Goethe verpflichtet und in Sichtachse zum Bahnhof stehend Landmarke städtebaulicher Entwicklung; 1919 zieht zeitgenössische Kunst ins Landesmuseum, deren Vermittlung scheitert; ab 1933 Sitz des Gauleiters und Reichsstatt­halter, bis der Bau ein Anhängsel des Gauforums wird, in dem man sich bereits zu DDR-Zeiten einrichtete, während das Museum verkommt; 1999 wird das wiederhergestellte Museum mit einer Sammlung zeitgenössischer Kunst eröffnet.
Die Ironie der Verweigerung, dem sich Annähernden etwas sichtbar zu machen, zieht nicht nur den Genius loci in Zweifel, der Zweifel ist grundsätzlicher Natur. Es sind allein die Videokameras, die beobachten. Der Beobachtete ignoriert seinen Anteil am Kunstereignis. Der flüchtigen Beleuchtung folgt Dunkelheit. Nur eine zweite, entfernt stehende oder den Effekt ihrer Bewegung ebenfalls ignorierende Person könnte die Lichtblitze sehen und über die kurze Weile des großen Effekts staunen.Katalogtext
Neues Museum Weimar mit Sammlung Paul Maenz
Internationale Avantgarde seit 1960
Ein Führer durch das Gebäude und die Sammlung
Kunstsammlungen zu Weimar
Cantz, 1998
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