Peter Herbstreuth
Die Farbe Rot
Innerhalb von zwei Jahren wurde die 1967 in Berlin geborene, in Ostberlin aufgewachsene Gunda Förster zur hoffnungsvollsten Künstlerin der Stadt. Und manche ihrer Altersgenossen fragte: Was habe ich nicht, was sie hat? Timing und Pertinenz, Sinn für Räume und Situationen, Präzisionsbesessenheit und keine Angst, missverstanden zu werden. Ist ihr die Schnelligkeit, mit der ihre Arbeit akzeptiert wurde, nicht etwas unheimlich? »Ja, es ging schnell«, sagte sie. »Aber ich hatte auch Glück.« Letzten Donnerstag bestand sie die Absolventenprüfung an der Hochschule der Künste Berlin. Heute bekommt sie den mit 20 000 Mark dotierten Deutschen Kunstpreis der Volksbanken und Raiffeisenbanken im Kunstmuseum Bonn überreicht. Von 2462 Bewerbern aus Deutschland wurde ihre Arbeit als die beste ermittelt.
Jedes Wer, das sie während ihrer Studienzeit realisiert hat, wurde öffentlich gezeigt und diskutiert. Dabei nahm der Organisationsapparat bisweilen Dimensionen an, die das sichtbare Werke zur Nebensache degradierten. Aber sie war sich ihrer Sache sicher und hatte seit Februar 1994 sieben Ausstellungen einzig zur Farbe Rot realisiert. Dabei gelang es ihr, ohne ein Wort der Erklärung die situativen Implikationen dieser hervorspringenden Farbe und symbolschweren Farbe herauszustellen und gleichzeitig zu dekonstruieren. Gunda Försters Umgang mit der Farbe Rot konnte als Arbeitsweise parallel zur Malerei verstanden werden. Sie bezog sich analytisch auf Malerei; aber zusehen waren nach der ersten Ausstellung keine Tafelbilder, sondern > Werbeplakate, > Vorhänge, Skulpturen,
> Fahnen, > Teppiche und eine fotografische Dokumentation, die Werkcharakter annahm.
Sie verließ die Kunsträume ohne auf diese ganz zu verzichten. Ihre > erste Ausstellung organisierte sie in einem vorübergehend leergeräumten Lager in der Auguststrasse; ihre zweite in einer > U-Bahn, weitere auf öffentlichen Plätzen und an Fassaden. Ihre Arbeit brauchte den Widerstand des Alltäglichen und das Gegenläufige der Dinge um die Arbeit herum. Diese Forderung nach Gegensatz bürgt für den dialogisch-agonalen Charakter ihrer Tätigkeit. Ihre Werke eignen sich weniger zur Betrachtung und Versenkung, wenden sich vielmehr an den schnellen, flüchtigen Passantenblick und enttäuschen gleichzeitig jene nicht, die darüber nachdenken.
Förster setzt die Komponenten der Malerei ihrer Reflexion aus. Sie bezieht die Bedingungen der Wahrnehmung und Kommunikation an den jeweiligen Orten von vornherein Werk mit ein. Ihre Werkdevise heißt: rigide isolieren und gleichzeitig anspielungsreich freisetzen.
Wie Werbestrategen hatte sie sich eindeutig mit einer Werkreihe festgelegt und dies konsequent markiert, ohne die Komplexität preiszugeben. »Nein«, sagt sie, »es war keine strategische Entscheidung, die Farbe Rot zu benutzen. Es war eine völlig emotionale Entscheidung. Ich habe es einfach getan und dann gesehen, was ich damit noch machen konnte.«
Seit Anfang des Jahres arbeitet sie nur noch mit Licht. In Bonn zeigt sie eine > Lichtinstallation auf einer Treppe. Zwei quadratische Fenster sind in eine leicht geschwungene Wand eingelassen. Diese Fenster spiegelt sie mit einer Projektion auf die Treppe. von keinem Punkt sieht man das Ganze. Wer die Treppe hochgeht, sieht die Fenster und die Brechungen des Lichts auf den Stufen. das Werk ändert sich in der Bewegung des Betrachters. Gunda Försters Statement zur Malerei ist eine Projektion ohne Bild, die alle Komponenten der Malerei enthält und einen deutlichen Architekturbezug zur Bedingung macht.
Mit dieser Arbeit zog sie die Konsequenzen aus allen vorherigen. Und es ist gewiß dieser Sinn für das Pertinente, der in ihren Arbeiten von Anfang an sichtbar war. Fast alle Gebilde sind ebenso von den Formaten des Minimalismus diktiert wie von Försters eigenem eher emotionalen Impuls. Es sind Versuche, klare Sicht zu gewinnen. Kunst hat oft etwas mit Verzweiflung und Ohnmacht zu tun. Ihr Vorhaben, die Farbe Rot von verschiedenen Kontexten kommentieren zu lassen, war ein mit Fleiß unternommenes Gegenprogramm: architekturbezogen und lichtorientiert. Fragt man sie nach Bedeutungen, wehrt sie ab. Das Werk ist ihr Statement. Benennen sollen es andere.
Der Tagesspiegel, 11.06.1996
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