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Thomas Wulffen

Rot schreiben

Im vergangenen Jahr, zwischen dem 2. und 22. September 1994, wurden die Benutzer der BVG im U-Bahnhof Weinmeisterstraße in Berlin-Mitte durch eine seltsame Erscheinung im öffentlichen Raum verstört. Dort wo normalerweise Werbung auf den im U-Bahnhof befindlichen Plakatflächen zu sehen ist, erblickte man zu diesem Zeitpunkt grellrote Flächen. Keine Sprache, kein Bild mehr, keine flotten Sprüche oder albernen Fotos, die für Produkte werben, die wir nicht brauchen. Stattdessen die bloße Farbe, eine bloße Präsenz, die scheinbar auf nichts als sich selber verweist. Die mit rotem Papier beklebten Werbetafeln auf beiden Wandflächen des U-Bahnhofs waren eine Arbeit von Gunda Förster mit dem Titel  > ROT SEHEN. Was da so einfach und überzeugend daher kam, war allerdings auf den näheren Blick eine tiefergehende Reflexion über den Status der Malerei in diesen Zeiten.
Das gilt desgleichen auch für die anderen Arbeiten von Gunda Förster. Die Arbeit > ROT SEHEN  wird in dieser Darstellung als Ausgangspunkt gesehen, weil in ihr wesentliche Aspekte der Arbeit der Künstlerin zusammenfließen, die in anderen Werken nur Teilkomplexe sind. Der von ihr gewählte Titel ist ein indirekter und ironischer Hinweis auf die erwähnte Reflexion. Zwar sehen die Betrachter wirklich alle Flächen rot, aber jene die deren Bedeutung aufschlüsseln wollen, begreifen das > ROT SEHEN  auch metaphorisch. Gunda Försters Arbeiten sind eine Antwort auf die Krise der Malerei, die sich nicht allein im Medium Malerei äußert.
Wie weit die Malerei als Technik in den öffentlichen Raum vorgedrungen ist und deren angestammte Orte verlassen hat, wird schon durch die Tatsache belegt, daß die Grundgerüste der Plakate wie beim Gemälde ebenfalls aus mit Leinwand bespannten Keilrahmen bestehen. Die materielle Struktur lädt dazu ein, sie wörtlich zu nehmen, was Gunda Förster getan hat. Die Dimensionen dieser Arbeit weisen aber weit darüber hinaus.
Ein wesentliches Element dafür ist die Einbindung des malerischen Bildes in einen öffentlichen Raum, im dem derartige Bilder äußerst selten Platz finden. Das verweist darauf, daß malerischen Bildern immer ein spezifisches Reservat vorbehalten ist, in denen sich ihre Wirksamkeit nur bedingt entfalten kann. Das ,Rote Quadrat‘ von Malewitsch ist einerseits eine konkrete Folie für die Arbeit > ROT SEHEN, die diesen Gegensatz zwischen öffentlichem Raum des Bildes und musealem Raum des Gemäldes verdeutlicht. Andererseits referiert das Gemälde von Malewitsch auf einen kunsthistorischen Hintergrund, der aufgrund persönlicher Erfahrung einen wesentlichen Ausgangspunkt des Werkes von Gunda Förster bildet: Das »Rote Quadrat« war, im Gegensatz zur üblichen Hängung, in einer Ecke des Ausstellungsraumes positioniert und bezog als Wand-Bild den Umraum in das Gemälde mit ein.

Mit anderen Arbeiten hat Gunda Förster ebenfalls den Raum der Kunst verlassen, um dort dem Bild wieder eine Bedeutung verleihen zu können. Die Arbeiten aber lassen sich nicht eindeutig als »Gemälde« identifizieren, sondern verweisen nur noch darauf Beispielhaft wird das deutlich in den > FAHNEN vor dem Gebäude der Hochschule der Künste in der Hardenbergstraße. Nur das quadratische Format und die Farbgebung bilden hier eine Referenz an das gewohnte Tafelbild. Die sich im Wind bewegenden Fahnen aber erweitern das Bild der Malerei zu einer dynamischen Skulptur, die, bedingt durch den von der Künstlerin ausgewählten Stoff, sogar hörbar ist. Mit dem Bild der Fahne aber verbindet sich sich die Vorstellung von Macht und Repräsentation. Die klassische Malerei war auch ein Instrument der Selbstdarstellung von Potentaten und Mittel der Repräsentation. Gunda Förster weist in ihren Fahnenarbeiten direkt darauf hin und stellt damit auch die Frage nach der gesellschaftlichen Wirklichkeit damals und heute.

Die Beziehung zur Geschichte findet sich auch in den Arbeiten mit Fernstern. Das Fenster ist eine der zentralen Bildfiguren in der abendländischen Malerei. Indem Gunda Förster die Fenster mit roten > VORHÄNGEN umgibt, nimmt sie diese Metapher wörtlich und transformiert eine alltägliche Situation in ein Bild. Das wird besonders deutlich in der Dokumentation der Arbeit. (Die Dokumentation auch der anderen Arbeiten, die ja meistens nur temporär existieren, lässt das Bildhafte dieser Werke ebenso aufscheinen.) Gleichermaßen tritt durch die Samtvorhänge eine Transformation des Raumes selber zutage, wie sie sich auch in  der Arbeit > ROTER TEPPICH für die Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein zeigt: Der Raum gewinnt eine bestimmte Aura, die das Bildhafte in den Raum projiziert. Fläche wird zum Raum. Raum wird zur Fläche. Daß derartige Projektionen doppeldeutig zu verstehen sind, zeigte sich in der Arbeit für eine Ausstellungsfolge zur neuen Malerei in der Galerie Wohnmaschine: > Dort wurde auf ein rotes Rechteck, plaziert in der Ecke des Galerieraumes, eine rote Farbfläche projiziert. Die Fläche dehnte sich dabei immer mehr aus und schien am Ende das materielle Moment der auf die Wand angebrachten Farbe aufzuheben. Dieser Eindruck aber fand statt im Auge des Betrachters. An der Nahtstelle zwischen Fläche und Raum, auf der sich die Werke von Gunda Förster situieren, ist nicht mehr genau festzulegen, wo das Objekt Bild wird oder der Betrachter ein Bild konstruiert. Vielleicht hilft es da, das Bild wörtlich zu nehmen.

Katalogtext zur Ausstellung
Malerei als Medium
Neuer Berliner Kunstverein, 1995
> ROTER TEPPICH

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