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Alexander Tolnay

Licht und Wahrnehmung
Zu den Rauminstallationen von Gunda Förster

Künstler sind Erfinder von Orten. Sie erschaffen bis dahin noch nicht existierende oder nicht gedachte Räume. Die von Gunda Förster für die zwei miteinander korrespondierenden Ausstellungen in Chicago und Berlin geschaffenen Räume entstanden durch die Auseinandersetzung mit dem immateriellen Medium Licht. In beiden Fällen arbeitet sie mit dem Wechsel und Zusammenspiel von Helligkeit und Dunkelheit, Offenheit und Geschlossenheit.
Bei > WHITE NOISE in Chicago findet diese Veränderung unvermutet und abrupt statt, bei dem > Charité-Projekt hingegen ist die Ab- und Zunahme der Lichtintensität graduell, sie ändert sich nur langsam. Bei erstem wird man an den Ikarus-Mythos erinnert, in welchem die griechische Sagengestalt dem gleißenden Sonnenlicht entgegen aufstieg und ihm nahekommend in den finsteren Abgrund stürzte, als das Wachs schmolz. Bei letzterem kommt einem die Gesetzmäßigkeit der kosmologischen Weltordnung in den Sinn mit ihrer steten Wiederkehr der Tag- und Nachtzyklen.

Die abwechselnd blendend hellen und nachtschwarz dunklen Räume erzeugen Wahrnehmungsorte, in denen das Sehen zur elementaren Erfahrung wird. In Försters Rauminstallationen geht es in erster Linie um Licht und Wahrnehmung. Bei ihrer Kunst handelt es sich nicht um Objekte zur ästhetischen Betrachtung, sondern – wie dies Daniel Birnbaum in einem anderen Zusammenhang formulierte – »sie spielen mit dem, was unsere Wahrnehmung bedingt. Diese Art von Kunst ist frei von allem Gegenständlichen. Es geht nicht um das, was wir vor Augen haben, sondern um das, was sich dahinter befindet – um das, was Sehen voraussetzt.«

Rudolf Arnheim hat in seinen kunstpsychologischen Untersuchungen darauf hingewiesen, daß das wichtigste Instrument der Kunstrezeption die Wahrnehmung sei und nicht irgendeine geheimnisvolle kognitive oder emotionale Fähigkeit, die mit irgendeinem statischen Maßstab – wie Form, Größe oder Farbe – gemessen werden könne. Es sind vielmehr »die gerichteten Spannungen, die von eben diesen Reizen vermittelt werden.« Diese umfassende Art der Wahrnehmung, die die »gerichteten Spannungen« hervorhebt, sei die Grundlage jeglicher ästhetischer Erfahrung. Mit ihnen werden diejenigen konfrontiert, die Gunda Försters Räume betreten oder von außen betrachten. Die Künstlerin selbst beschreibt diese »Konfrontation« mit den Worten: »Die gleichzeitig be- und entgrenzte Immaterialität des Lichts wird in seiner Beziehung zur Umgebung wahrnehmbar.« Es entsteht eine Kommunikation zwischen dem Raum und seinen Rezipienten, welche dadurch in die Lage versetzt werden, »sich selbst in Relation zu ihrer Umgebung wahrzunehmen.«

Katalogtext
> WHITE NOISE | DIS-APPEARANCE
Vedanta Gallery, Chicago, 2001
Charité, Berlin, 2001
> WHITE NOISE
> PHOTOGRAPHS
> DIS-APPEARANCE

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