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Thomas Köllhofer

Grenzgänge | Bilder des Erinnerns

Licht in unterschiedlicher Qualität: warmes, glühendes Leuchten, gleißend blendendes Licht, das auch durch geschlossene Augen noch den Eindruck der Helligkeit hinterlässt. Bewegtes Licht, das sich auflöst, bevor unser Blick sich daran festhalten kann. Kunstlicht ist es, das in den Werken von Gunda Förster in zahlreichen unterschiedlichen, aber jeweils genau definierbaren Qualitäten zum Einsatz kommt. Licht wird selbst zum plastischen Material, bisweilen aber auch zum lexikalischen Zeichen. Sie setzt es nie statisch ein, sondern verwendet es immer in einer Form der Bewegung, und sei es nur dadurch, dass das Licht nach kurzen Sequenzen aus und wieder an geht. In ihren Videos sind Lichtbewegungen und Bilder bisweilen derart beschleunigt, dass die Augen die einzelnen Sequenzen nicht mehr als getrennte Bilder sondern nur noch als Flimmern wahrnehmen.
Das Licht bringt eine weitere Wahrnehmungsqualität mit sich, die üblicherweise zwar nicht als eine Sinnes-
wahrnehmung bezeichnet wird, die aber eine der wichtigsten Voraussetzungen für das In-Beziehung-Setzen der Welt zu sich und des Menschen zur Welt darstellt. Es ist dies die Wahrnehmung des Raumes. Wer den Raum um sich herum nicht wahrnimmt, verliert das Verhältnis zu sich selbst und verliert auch sein Zeitgefühl. Die Ausdeh-
nung des Raumes verändert das Zeitgefühl, so wie umgekehrt die Verdichtung der Zeit die Wahrnehmung des Raumes verändert.
Zusätzlich verbindet Gunda Förster den optischen Reiz mit anderen Sinneswahrnehmungen wie akustischen Signalen, die von klaren, puren Tonfrequenzen, bis hin zu konkreten mechanischen Geräuschen reichen, wobei letztere elektronisch bearbeitet sind. Die Töne und Geräusche führen oft zu Wahrnehmungen von Vibrationen des Raumes oder von Schwingungen, die sich über die Luft im Raum fortsetzen und im ganzen Körper spürbar werden. Bei > WHITE NOISE arbeitet Gunda Förster zusätzlich mit Temperaturveränderungen.
All diese Sinneswahrnehmungen werden bei Förster nicht in statischen, sondern immer in bewegten Inszenierungen eingesetzt, so dass ihre augenblickliche, ephemere Natur verdeutlicht wird. Die Wahrnehmung wird unweigerlich im Prozess der Betrachtung schon zur Erinnerung.

Bei > WHITE NOISE betreten wir den Installationsraum und begeben uns in eine hermetisch geschlossene Atmosphäre. Scheinwerfer sind in industriell gefertigten Metallgehäusen in Augenhöhe an alle vier Wände montiert, Lautsprecherboxen und lange Kabelstränge sind zu sehen, durch die der Strom in die Anlage fließt. Die Arbeit lässt die Betrachtenden einen Wechsel unterschiedlich sinnlicher Qualitäten erleben.
Im Raum werden verschiedene Stärken des Lichtes mit jeweils zugehörigen elektronisch erzeugten Sinustönen kombiniert. Eine insgesamt knapp siebeneinhalb Minuten dauernde Sequenz ist in einer festen Struktur durch-
komponiert. Auf eine Sequenz aus einem 60 Hz Ton folgt im dunklen Raum völlige Ruhe und Dunkelheit. Dann gibt es Sequenzen mit einem etwas deutlicher wahrnehmbaren zwischen 60 und 70 Hz schwingenden Ton, bei dem glimmendes Licht aus den Scheinwerfern strahlt. Wiedereinkehrende Ruhe und Wiederholungen der Sequenzen mit dunkleren Tönen führen zu Erschrecken bei einem plötzlichen Angehen der sehr hellen Scheinwerfer, deren Licht von einem sehr hohen, synthetischen Ton von 12.000 Hz begleitet wird. Die hierfür eingesetzten Lampen strahlen bei voller Lichtleistung extreme Hitze ab, so dass die Besucher des Raumes neben der optischen und akustischen Wahrnehmung zusätzlich mit einer spontanen Wärmeflut konfrontiert werden, die nach Erlöschen des Lichtes auch sehr schnell wieder nachlässt.
Während sich der tiefe Ton vom Boden ausgehend durch den Körper ausbreitet, wird der sich zwischen 60 und 70 Hz bewegende Ton eher als eine Schwingung im Raum wahrgenommen. Der unangenehm hohe Ton wird nur im Kopf gehört und gespürt. Alle Sequenzen verbinden sich auf eine spezifisch eigene Art zu einer ganzkörperlich wahrgenommenen Collage aus Licht, Ton und Wärme, der sich die Betrachtenden nur durch Verlassen des Raumes entziehen können. Insbesondere bei der hellen Sequenz mit hohem Ton aber wird der die Betrachtenden umge-
bende Raum förmlich aufgelöst.
Die Installation vermittelt in der Schlichtheit der einzelnen sinnlichen Qualitäten eine ausgesprochen große Klarheit unterschiedlicher Wahrnehmungen, die aber in eine eher diffuse körperliche und unbewusst emotionale, denn in eine rational analytische Gesamtwahrnehmung münden. Bei dieser Arbeit lotet Gunda Förster sowohl im Bereich des Akustischen wie auch des Optischen die Grenzen des Erkennbaren und des Erträglichen aus. Das gleißende Licht ist unangenehm hell, der Besucher schließt spontan die Augen oder wendet den Blick von den Scheinwerfern auf den Boden, um das ihn umgebende Licht indirekt wahrzunehmen. Doch selbst mit geschlossenen Augen können sich die Betrachtenden der Helligkeit nicht entziehen. Die Intensität der Wahrnehmungen während der akustischen und lichtintensiven Sequenzen führt auch zu einer sehr bewussten Erfahrung der dunklen und stillen Sequenzen, die mehr als nur eine Pause für die Sinne darstellen. Sie sind nicht nur erholsam, sondern werden zu einem eigenen Erlebnisbereich. Bei > WHITE NOISE werden die Besucher mit einem sehr intensiven Erlebnis konfrontiert, das lange nachklingt. Durch die Komposition lässt Gunda Förster kein berechenbares Erleben zu. Vielmehr werden die Betrachtenden in eine spannungsvolle Erwartung versetzt, mit der sie die jeweils nächste Einstellung erwarten. So erreicht Gunda Förster ein immer wieder spontanes Erleben der unterschiedlichen Sequenzen.

Bei der Arbeit > CIRCLE beschreibt die Leuchtquelle eine große kreisende Bewegung. Kein > PENDEL, das die Grenzen einer Amplitude ausmisst oder die Drehung der Erde beweist, sondern eine scheinbar endlose, an die der Planeten erinnernde, zyklische Bewegung. Die Länge des Pendels führt zu einem langsamen Kreisen, das eine suggestive magische Kraft auf den Betrachter ausübt. Unweigerlich erinnert die ihre Runden drehende Lichtquelle an die magischen Pendel, mit denen über Wahrheiten und Unwahrheiten, über Hilfreiches oder Schädliches befunden wird.
Das bewegte Licht – immer wiederkehrend aber auch immer wieder verschwindend – lenkt die Blicke der Betrachtenden. Die Geschwindigkeit der Lichtquelle erlaubt es, vom Lichtschein erfasste Raumbereiche zu erkennen, löst sie aber sogleich wieder aus der optischen Fokussierung. Unser Instinkt drängt uns, auf die Bewegung zu reagieren, da von ihr potentielle Gefahr ausgeht. So folgt der Blick gezwungenermaßen der kreisenden Lichtquelle. Die rotierend pendelnde Glühbirne verhindert jedoch durch den notwendigen Wechsel des Blickfeldes die Möglichkeit eines wirklichen Fokussierens. Allein in der Wiederholung führt die Bewegung zu einer Beruhigung des Blickes, der nicht in gehetzter Spontaneität reagieren muss. Vielmehr entsteht ein tranceartiger Zustand des Schauens, bei dem sich die Wahrnehmung in einem ständig wandelnden Spannungsfeld zwischen Erwartung und Erinnern bewegt. Immerwährend sich bewegende, wachsende und wieder schwindende Schatten-
bereiche entstehen. Sie erwecken den Eindruck, nicht die Lichtquelle wandere durch den Raum, sondern als sei es der Raum, der sich um die Lichtquelle bewegt. Der Kreis verweist in seiner Geschlossenheit auf die Endlosigkeit bzw. Aufhebung der Zeit und hebt somit das Raumkontinuum auf.

Auch die Arbeit > EMERGE besticht durch ihre Einfachheit. Wie Linien, die mit einem an der Spitze glühenden Stab in die dunkle Nacht gezeichnet werden, schreibt Gunda Förster mit einer punktuellen Lichtquelle Worte in das Dunkel. Bevor wir den Schriftzug zu Wörtern zusammenfügen können, hat er sich bereits im Dunkel aufgelöst. Wie der Tanz wird hier die Schrift mit Licht durch die Bewegtheit der Lichtquelle und die kurze Beständigkeit des Lichtbildes in unserem Auge zu einer ephemeren Kunst. Die auftauchenden und sich auflösenden Bilder der Schrift werden, bevor sie entstanden sind, zu Bildern der Erinnerung. Förster schreibt »zeitloses Licht – vergessene Bilder – zeitlose Bilder – vergessenes Licht« und hinterfragt damit die Existenz eines linearen Zeitverständnisses. Der ins Dunkel geschriebene Schriftzug wird zwar zum Synonym für eine gezeichnete Lebensspur. Gleichzeitig verweist die kurze Sichtbarkeit des Lichtes aber auf seine Vergänglichkeit. Das »Schwarz auf Weiß Geschriebene«, das im Sprachgebrauch als Manifestation ewigen Fortbestandes gilt, wird hier formal wie auch inhaltlich umgekehrt und aufgelöst. Das Schriftbild existiert nur mit Licht und ist ohne Licht nur noch immaterieller, zeitloser Bestandteil der Erinnerung.

In dem Film > S 2 bekommt der Betrachter eine von unregelmäßigen Dunkelphasen unterbrochene Folge abstrakter Bilder zu sehen, die in großer Geschwindigkeit über die »Leinwand« rasen. Obgleich durch die hohe Geschwindigkeit die Bilder kaum einzeln wahrgenommen werden können, werden sie von den Betrachtenden unweigerlich mit dem Erlebnis der Bahnfahrt, insbesondere der Fahrt mit der U- oder S- Bahn assoziiert, bei der die Fahrenden, die den Blick aus dem hellen Inneren des Zuges nach außen wenden, vergleichbaren Bildfolgen ausgesetzt sind. Im Verlauf der dreieinhalb Minuten langen Filmsequenz steigert sich die Geschwindigkeit der Bildfolgen. Durch das digitale Löschen einzelner Bilder aus der laufenden Passage, entsteht eine extreme Beschleunigung, durch die die Bewegungsrichtung nicht mehr deutlich erkennbar bleibt. Vielmehr entsteht ein Flirren der Bilder. Hier wird deutlich, wie Gunda Förster die Grenzen der Wahrnehmung auslotet, bzw. wie sie uns mit der Relativität des Gesehenen konfrontiert. Gleichzeitig entstehen sehr schön komponierte und doch auch aus der Wirklichkeit entliehene, spannungsvolle Bildfolgen, wie wir sie aus dem Bereich der konkreten Kunst kennen. Die schnellen Bildphasen werden mit dem lauten Geräusch verbunden, das die Eisenräder der Bahnen auf den eisernen Schienen erzeugen. Hier bewahrheitet sich einmal mehr Paul Virilios Überzeugung: »Es gibt keine Abstraktion. « [1] Alles was wir sehen ist Wirklichkeit. Während diese Wirklichkeit durch das Herauslösen einzelner Bilder aus einem ursprünglichen Film verkürzt und verdichtet wird, setzt die Künstlerin das Verfahren bei der Arbeit > NOW genau in umgekehrter Weise ein. Hier wird die über den Bruchteil einer Sekunde stattfindende Wirklichkeit eines über den Himmel huschenden Blitzes auf eine ca. fünf Minuten dauernde Filmsequenz gedehnt. Die hier entstehende Wirklichkeit aus der digitalen Welt hat mit der naturgegebenen Wirklichkeit kaum noch etwas gemein. Der Blitz im Film bewegt sich ganz entgegen seiner Natur nicht nur in die eine, sich entladende Richtung, sondern unabhängig von den Gesetzen der Physik in fremd gelenkte Richtungen. Die Dichte der Wirklichkeit verselbständigt sich. Jeder Makrokosmos kann mit den digitalen Medien unendlich verkleinert, jeder Mikrokosmos unendlich vergrößert werden.

Die ursprünglichen Aufnahmen für die > FOTOGRAFIEN sind vor dem laufenden Fernseher entstanden. Relativ lange Belichtungszeiten der Kamera lassen die Bewegtheit der Bilder erkennen. Das Fernsehbild ist für sich schon ein künstlich reproduziertes, elektronisches Abbild der Realität. Was Förster fotografiert, ist dagegen die Wirklichkeit des laufenden Fernsehbildes. Das Abbild desselben wird nun wieder digitalisiert und weiter bearbeitet. Es entsteht eine Farbigkeit, die uns eher an künstlich elektronisch entstandene Bilder oder an Röntgenaufnahmen erinnert, als an den hinter einigen Metaebenen versteckten Ursprung der Bilder. Da mehrere Einzelbilder des laufenden Filmes in eine Belichtungszeit fallen, entsteht der Eindruck von Mehrfachbelichtungen. Im Betrachter werden dingliche Assoziationen unterschiedlichster Sujets oder von Handlungsszenen geweckt, bei denen aber nicht verifizierbar ist, ob sie etwas mit den festgehaltenen Ursprungshandlungen zu tun haben. Die Fotografien wirken eher wie die Schatten der Bilder. Die Phantasie der Betrachtenden wird durch die malerisch amorphen Gebilde genötigt, sie in erzählerische Inhalte einzubinden. Diese entspringen stärker dem Unterbewussten der Betrachter, denn bewussten Erfahrungswelten. Durch die sehr großen Formate entfalten die Fotografien eine von wirklichkeitsnahen Handlungsfolgen unabhängige, malerische Wirkung.

In dem Video > NOISE wird der Kampf zwischen Licht und Dunkel, der auf den Fotografien schon angeklungen hat, in bewegter Form vollzogen. Fotografien sind Formen der Erinnerung, die wie unzusammenhängende Fetzen aus einer allumfassenden Wirklichkeit herausgelöst werden. Ihre Information bleibt eindimensional auf den optischen Sinn reduziert, kann allenfalls beim Wiedererkennen selbst erlebter Szenen zu körperlichen Reaktionen führen, die mehr als nur den Augensinn ansprechen. Hier können Erinnerungen an physische Erlebnisse wie Gerüche, Tempe-
raturempfinden, etc. geweckt werden. Gunda Förster verlebendigt nicht die eigenen Erinnerungen, sondern sie schafft neue Bilder aus kurzen Segmenten des festgehaltenen Erinnerns, das in der Form der Ausgangsfotografien vorliegt.
> NOISE ist eine schlüssige und fast zwangsläufig wirkende Entwicklung aus den Fotografien Försters. Jene sind nur als Teil eines bildhaften Bewegungsablaufes zu verstehen. Entsprechend werden diese Bilder in dem Video wieder verlebendigt. Allerdings folgen sie nicht einem ursprünglichen Bewegungsmodus, sondern einer eigenen, neu aus der Form der Fotos entstehenden Entwicklung.

Die Arbeiten von Gunda Förster setzen sich mit dem Wesen des Bildes und der Wahrnehmung auseinander. Ein statisches Bild ist etwas unnatürliches, weil alles in Bewegung ist. Deshalb arbeitet Gunda Förster mit sich auflösenden Bildern, sie spielt mit dem kurzzeitigen Versuch Bilder festzuhalten und mit der Unmöglichkeit dieses Handelns. Selbst dort, wo ihre Fotografien als fixierte, festgehaltene und unveränderliche Bilder an der Wand hängen, sind sie nichts anderes als der Ausdruck der Bewegung, der Entstehung und gleichzeitigen Auflösung. Sie sind Ausdruck des sich Entziehens und kreieren eine Ästhetik des Verschwindens. [2] Damit sind ihre Bilder oder die Eindrücke ihrer Arbeiten immer auch Bilder des Erinnerns. Erscheinen und Auflösung werden zu zyklisch sich bedingenden Synonymen. Jedes Licht ist Auflösung in seiner Verdrängung des Dunkels und Erscheinung in seiner Schaffung des Sichtbaren. Umgekehrt ist jedes Dunkel die Erscheinung des negativen Raumes und Auflösung des Bildes im Licht.

Licht und Geräusche sind in bestimmte Schwingungen versetzte Energie. Das Licht ist dominant, ist der direkteste Ausdruck von Geschwindigkeit und verleiht den Arbeiten Gunda Försters ihre hohe energetische Qualität.

[1] Paul Virilio, Der negative Horizont. Bewegung, Geschwindigkeit, Beschleunigung. München 1989, S. 9
[2] Vgl. hierzu Paul Virilio, Die Ästhetik des Verschwindens, Berlin 1986 (erst 1980).

Katalogtext
> Gunda Förster
Kunsthalle Mannheim | Hatje Cantz, 2004

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